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Meristemvermehrung – Definition + Anleitung zum selber machen

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Die Meristemvermehrung ist noch eine recht neue Art der Pflanzenvermehrung. Sie findet aber bereits weitreichende Anwendung. Zum einen, weil einige Pflanzen nur auf diese Weise frei von Viren und Bakterien vermehrt werden können. Zum anderen, weil sich durch diese Methode aus einer einzigen Mutterpflanze zahlreiche und genetisch identische Jungpflanzen ziehen lassen. Allerdings ist das Verfahren aufgrund der nötigen Ausstattung, Vorsichtsmaßnahmen und des erforderlichen Wissens selbst nur schwierig durchzuführen. Wer Geduld und etwas Experimentierfreude mitbringt, kann aber dennoch erstaunliche Erfolge verzeichnen.

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Definition

Die Meristemvermehrung wird auch als In-vitro-Vermehrung bezeichnet. „In-vitro“ bedeutet im Lateinischen „im Glas“. Gemeint ist hier also eine Vermehrung in Petrischale oder Reagenzglas. Hobbygärtner, die sich bisher mit Samen, Stecklingen und der Teilung von Wurzeln beschäftigten, dürfte das überraschen. Tatsächlich wird die Meristemvermehrung aber bereits im großen Maßstab betrieben. Die Vermehrung der Pflanzen erfolgt aus einzelnen Zellgruppen und unter sterilen Bedingungen.

Die Zellen werden aus der Pflanze entnommen, auf ein Nährmedium gegeben und hier mit Nährstoffen und Phytohormonen behandelt, bis sich Wurzeln und Triebe ausbilden. Im Anschluss werden sie in Substrat gesetzt und entsprechend der Ansprüche des jeweiligen Gewächses kultiviert. Grob gesagt und stark vereinfacht, handelt es sich also um eine Art Stecklings-Vermehrung im mikroskopischen Maßstab und unter sterilen Bedingungen.  

Vorteile

Wie eingangs bereits erwähnt, bietet die Meristemvermehrung zwei entscheidende Vorteile. Vor allem der wirtschaftliche Vorzug ist kaum zu übersehen: Aus einer einzigen Mutterpflanze können deutlich mehr Nachkommen gezogen werden, als aus Stecklingen oder Samen. Als Ausgangsmaterial für eine Tochterpflanze sind schließlich nur wenige Zellen erforderlich. Hinzu kommt, dass sich einige Gewächse kaum auf anderem Wege vermehren lassen. Mögliche Gründe hierfür sind, dass die Teilung, Bildung von Stecklingen oder die Anzucht der Samen extrem aufwendig ist und sehr viel Zeit in Anspruch nimmt.

Hinzu kommt, dass Bakterien, Pilze und Viren sowie andere Phytopatogene die Vermehrung über Stecklinge und Kultur einiger Pflanzen erschweren. Aus diesem Grund werden beispielsweise Erdbeeren, Himbeeren und Kiwi mittlerweile hauptsächlich über die Meristemvermehrung generiert. Jungpflanzen, die auf diese Weise gewonnen werden, sind frei von Krankheitserregern, da sie unter sterilen Bedingungen gezogen werden. Auch das Risiko kranker Nachkommen wird also reduziert.  

Das Meristem

Das Ausgangsmaterial für die Meristemvermehrung ist das Meristem. Hierbei handelt es sich um das Bildungsgewebe der Pflanze. Diese Art von Gewebe ist noch undifferenziert. Sie können sich daher zu Wurzeln, Früchten oder Blättern entwickeln und zumindest theoretisch unbegrenzt teilen. Beste Voraussetzungen also, um für die Vermehrung genutzt zu werden und aus kleinen Zellmengen zahlreiche Pflanzen entstehen zu lassen.

Diese pflanzlichen Stammzellen befinden sich in den äußersten Enden der Wurzelspitzen und Sprossspitzen. Zudem weisen sie dünne Zellwände mit einen sehr geringen Zellulosegehalt auf. Sie unterscheiden sich also gerade in Hinblick auf die Zellwände von den umliegenden Zellen. Das ist aber natürlich erst unter dem Mikroskop sichtbar.    

Sterile Bedingungen

Die oberen Sprossspitzen eignen sich als Meristem in der Regel besonders gut für die In-vitro-Vermehrung, da sie selbst bei einer bestehenden Viruserkrankung meist noch frei von Viren sind. Damit die Krankheitserreger nicht noch nachträglich auf die Zellen beziehungsweise Pflanzenteile übergehen können, sind sterile Bedingungen bei der Meristemvermehrung unerlässlich. Die Anzuchtgefäße müssen also steril und zudem verschließbar sein. Bewährt haben sich hier für die anfänglichen Stadien Petrischalen mit Deckel. Später kommen höhere Gläser zum Einsatz. In der professionellen Umsetzung der Meristemvermehrung wird zudem eine spezielle Atmosphäre hergestellt, die fortlaufend geregelt wird. Hierfür ist unter anderem eine sterile Werkbank beziehungsweise Sicherheitswerkbank erforderlich.

Desinfizieren

Sterile Werkbank und Gefäße sind bei der Meristemvermehrung zwar von Nöten, alleine aber nicht ausreichend. Mit den Meristemzellen können Keime eingetragen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese bereits an der Pflanze vorhanden waren oder auf dem Weg von der Pflanze zum Aufbringen auf den Nährboden eingetragen wurden. Bakterien, Pilze und Viren können wiederum die Erfolgsrate erheblich reduzieren. Es ist daher erforderlich, die Zellhaufen nach der Entnahme aus der Pflanze zusätzlich zu desinfizieren, um Bakterien und Pilzsporen abzutöten.
Hierfür werden laut verschiedener Quellen vor allem die folgenden drei Mittel eingesetzt:

  • Natriumhypochlorit
  • Wasserstoffperoxid
  • Quecksilber-II-Chlorid
Avocado Wurzel

Natriumhypochlorit und Wasserstoffperoxid sind jeweils in der Apotheke erhältlich. Die Verwendung von Quecksilber-II-Chlorid zur Desinfektion von Pflanzen und Saatgut ist zumindest im privaten Bereich verboten. Auch bei den erhältlichen Substanzen muss jedoch sehr genau auf die Konzentration geachtet werden.

Natriumhypochlorit zur Desinfektion

In der professionellen Meristemvermehrung wird Natriumhypochlorit zur Desinfizierung der Zellhaufen verwendet. Die chemische Substanz ist auch als Chlorbleichlauge bekannt und wird bei Reinigungsmitteln oft als „Aktivchlor“ bezeichnet. Das aggressive Mittel sollte also nicht unverdünnt bei Pflanzenzellen zum Einsatz kommen.
Üblich sind hier Konzentrationen von 5 bis 25 Prozent bei einer Einwirkdauer von 5 bis 30 Minuten. Natriumhypochlorit sollte also nur in einer entsprechenden Verdünnung zum Einsatz kommen. Nach der Desinfektion werden die Zellen zudem mehrmals mit destilliertem und sterilem Wasser gespült.  

Wasserstoffperoxid

Zur Spülung von Pflanzen und Pflanzenzellen schlagen einige Quellen eine Lösung mit 0,15 Promille beziehungsweise 0,015 Prozent Wasserstoffperoxid vor. Für Haushaltszwecke ist eine 3-prozentige Wasserstoffperoxidlösung in Apotheken erhältlich. Um diese auf einen Wasserstoffperoxidgehalt von 0,015 Prozent auszurichten, ist die folgende Berechnung erforderlich: Prozentgehalt der Ausgangslösung – gewünschter Prozentgehalt der Desinfektionslösung = Differenz und hierdurch Wassergehalt beim Mischverhältnis

Bei der 3-prozentigen Lösung lautet die Rechnung also: 3 – 0,015 = 2,985

Das heißt, dass 0,015 Teile der 3-prozentigen Lösung auf 2,985 Teile steriles, destilliertes Wasser gegeben werden müssen. Etwas anschaulicher und für die Meristemvermehrung praktischer sind 1,5 Milliliter der Lösung auf 29,85 Wasser.

Nährmedium und Nährstoffe

Bei diesem Punkt wird es kompliziert. Zwar gibt es Nährstoffe, die in jedem Fall im Nährmedium enthalten sein müssen – die jeweilige Konzentration ist aber abhängig von der jeweiligen Pflanzenart. Als Basis kann eine Mischung aus Agar als Gelierungsmittel und Saccharose als Nährstofflösung dienen. Die Lösung sollte einen Saccharose-Gehalt von 20 bis 30 Gramm auf einen Liter Wasser enthalten. Agar wird nach Bedarf eingesetzt.

Makronährstoffe

Bei den wichtigen Makronährstoffen für die Meristemvermehrung handelt es sich um:

  • Stickstoff
  • Phosphor
  • Kalium
  • Calcium
  • Magnesium
  • Schwefel

Die Konzentrationen dieser Stoffe sind aber wiederum sehr artabhängig. Selbst in den wissenschaftlichen Quellen hierzu finden sich erhebliche Unterschiede bei den Angaben, die beispielsweise allein bei Kalium zwischen 0,95 und 1,9 Gramm pro Liter liegen.

Tipp:

Wer selbst Versuche starten will, muss also vorsichtig experimentieren. Eine Orientierung kann hier der Gehalt der einzelnen Makronährstoffe in Spezialdüngern für diese Pflanzenart sein.

Mikronährstoffe

Bei den wichtigen Mikronährstoffen für die Pflanzen im Allgemeinen und die Meristemvermehrung im Speziellen handelt es sich um:

  • Eisen
  • Mangan
  • Zink
  • Bor
  • Kupfer
  • Molybdän

Fehlen sie völlig oder liegen in einer zu niedrigen Konzentration vor, treten Mangelerscheinungen auf. Iod und Kobalt sollen ebenfalls eine Auswirkung auf das Wachstum haben. Wissenschaftlich nachgewiesen ist diese aber bisher noch nicht. Auch hier gilt wieder, dass die Mengen sehr unterschiedlich ausfallen und abhängig von der Art des Gewächses sind. Wiederum können spezielle Düngemittel für die jeweilige Pflanze zur Orientierung herangezogen werden.

Vitamine und Aminosäuren

Bei der Meristemvermehrung sind B-Vitamine entscheidend.
Hier zählen:

  • Biotin – Vitamin B7
  • Folsäure – Vitamin B9 beziehungsweise Vitamin B11
  • Nicotinsäure – Vitamin B3
  • Pyridoxin – Vitamin B6
  • Thiamin – Vitamin B1

Zwar können Pflanzen diese auch selbst herstellen, in einigen gängigen Nährmedien werden sie aber dennoch zugesetzt, um das Wachstum zu fördern und die Erfolgsrate zu erhöhen.

Phytohormone

Da es sich bei dem Meristem um noch undifferenzierte Zellen handelt, benötigen diese entsprechende Impulse. Anderenfalls würden sie sich nicht in Wurzeln, Sprossen und Blätter entwickeln. Diese Impulse erhalten sie durch die vier Phytohormone:

  • Auxine
  • Cytokinine
  • Gibberelline
  • Abscisinsäure

In einigen fertigen Nährmedien sind diese ebenso wie die Makro- und Mikronährstoffe bereits enthalten. Bei einer selbst zusammengestellten Mischung müssen sie zugegeben werden. Das bedeutet wiederum eine Herausforderung, da Menge und Verhältnis zueinander ausgetestet werden müssen.

Bonitieren

Süßkartoffel-Pflanze mit Wurzeln

Teilen sich die Zellen bei der Meristemvermehrung erfolgreich und sorgen die Phytohormone für die angestrebte Entwicklung der einzelnen Pflanzenorgane, wachsen Jungpflanzen heran. Diese sind genetisch identisch mit der Mutterpflanze, genau genommen handelt es sich also um Klone. Trotz dieses Erfolgs kann es auf dem Weg dahin noch weiterhin zu Problemen kommen. In der Regel werden diese durch eingetragene Keime ausgelöst, die auf dem Nährmedium ebenso gut gedeihen können, wie die Pflanzenzellen selbst. Daher ist das Bonitieren sehr wichtig. Zeit das Nährmedium Trübungen, Beläge oder Verfärbungen, sollte das betreffende Exemplar aussortiert werden. Die Kontrolle und das Entfernen werden als Bonitieren bezeichnet.

Auspflanzen

Haben die Jungpflanzen eine Höhe von etwa fünf Zentimetern erreicht, sind kräftig und gesund, können sie in ein entsprechendes Substrat gepflanzt werden. Ab diesem Zeitpunkt können sie so kultiviert werden, wie es die jeweilige Pflanzenart erfordert.

Die Alternative zur eigenen Meristemvermehrung

Eigene Versuche der Meristemvermehrung sind aufgrund der Anforderungen und der nötigen Ausstattung eigentlich nur dann sinnvoll, wenn mehr als eine Mutterpflanze vermehrt werden soll. Zudem ist es kein leichtes Unterfangen. Bereits die Anfertigung eines geeigneten und abgestimmten Nährmediums und das Steril halten der Zellen ist im Privathaushalt nur schwierig zu bewerkstelligen. Nährgele lassen sich auch fertig kaufen. Beispielsweise bei den PhytoTechnology Larboratories.

Wer sich den Aufwand und die Ausgaben, unter anderem für die sterile Werkbank, sparen möchte, kann eigene Pflanzen auch vermehren lassen. Angeboten wird dies zum Beispiel vom In Vitro Plant Service in Quedlinburg.

Fazit

Die Meristemvermehrung ist eine gute Möglichkeit, zahlreiche Pflanzen aus einer einzigen Mutterpflanze zu ziehen und gerade bei virusanfälligen Gewächsen oft der einzige Weg, um gesunde Nachkommen zu erreichen. Mit der richtigen Ausstattung ist sie auch von Laien durchführbar. Von der Gewinnung der Meristem-Zellen unter dem Mikroskop über die Anfertigung eines geeigneten Nährmediums bis hin zum Bonitieren, stellt diese Variante der Vermehrung jedoch auch eine Herausforderung dar.

Autor Garten-Redaktion
Ich schreibe über alles, was mich in meinem Garten interessiert.

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